Inhalt
ToggleEine Frau allein mit der Crew auf einem Frachtschiff an der norwegischen Fjordküste. Ich hatte zum Ausklang des Sommers die Fjorde Norwegens im Sinn. Eine Seereise vor der dramatischen Kulisse steil ins Tiefblau abfallender Berge, dazwischen Wasserfälle und kleine rote Fischerhütten. Natürlich gibt es das in der bunten Welt der gängigen Reisekataloge. Aber mal abseits der klassischen Kreuzfahrt gedacht, wird das Angebot schnell überschaubar. Eine Woche auf einem ganz normalen Frachtschiff, einfach mitfahren auf einer Route, die jede Woche aufs Neue von der Ladung bestimmt wird. Anhalten, wo geladen oder entladen wird. Fahren, solange es eben dauert. Von der Brücke über aufgestapelte Container die Landschaft bestaunen, keine Bespaßung, kein Cocktailkleid. Und als ich dieses Schiff gefunden hatte, ging alles ganz schnell…
Die Nachricht der Schiffsagentur kommt mitten in der Alltagsroutine, irgendwo zwischen Altpapiercontainer und Reinigung: Meine Einschiffung auf der „Tina“ sollte am Freitag zwischen 13 und 14 Uhr stattfinden. Moerdijk Containerhafen # 243. Es ist Donnerstag und ich bin in Düsseldorf. Gut, es war klar, dass es Tags darauf losgehen sollte, aber so früh? Vorher müsste ich zum Immigration Office, und zwar am Flughafen Rotterdam. „Die Tina“, genauer gesagt MS Tina, ist ein Frachtschiff, genauer gesagt ein Containerschiff. 106 m lang, 19 m breit. Kurs Norwegen, knapp 2.500 km mit durchschnittlich 12 Knoten. 1 Woche Fjordküste ab / bis Rotterdam.
Es wurde unbedingt empfohlen, am Vortag anzureisen. Denn: Ein Frachter wartet nicht auf Passagiere. Also packen, und zwar schnell! Es ist ein schöner Spätsommertag und warm genug, um die frisch gewaschene Wäsche noch irgendwie trocken zu bekommen. Hosen und T-Shirts landen in der Reisetasche. Dann die mobile Espressomaschine. Bücher, Kamera, Kabel und Ladegeräte, Laptop. Schuhe, Fleecejacke und Daunenjacke. Zeit für große Vorbereitungen bleibt nicht, der letzte ICE in Richtung Rotterdam geht kurz nach 21 Uhr. Schnell noch ein Hotel für die Nacht gebucht und los geht’s.
Das Holiday Inn Express Rotterdam ist ein modernes Hotel im Herzen der Stadt und in Laufweite zum Bahnhof, diversen Einkaufsmöglichkeiten und gemütlichen Cafés.
Gleich morgens meldet sich die Schiffsagentur. Einschiffen sollte ich nun zwischen 13 und 15 Uhr, Ablegen würde man erst gegen 20 Uhr. Die Anreisebeschreibung zum Hafen Moerdijk lässt einige Fragen offen. Auch wird unterstellt, dass man zunächst mit dem Zug, dann mit dem Bus und schließlich ½ Stunde zu Fuß unterwegs sein möchte. Es sei aber angeblich „nicht so weit und auch das Taxi nicht so teuer“. Zunächst aber soll ich zum Immigration Office und da ich von Moerdijk auslaufe, muss ich dies am Flughafen tun. Zum Rotterdamer Flughafen ist man schnell gefahren, die Dame am Informationsschalter hingegen kann mit meiner Frage nach dem Immigration Office wenig anfangen. Der Zoll schickt mich – nicht ohne Fragezeichen, was ich dort wollen könnte – in ein Nachbargebäude des Terminals, dort immerhin aber zielsicher in die 2. Etage. Der Immigration Officer hat gleich mehrere große Fragezeichen im Gesicht und das von der Reederei vorgesehene Procedere ist ihm völlig fremd. Immerhin versteht er den deutschen Text und verschwindet zum Chef. Der verfügt, dass man als EU-Bürger für eine Norwegenreise gar nichts braucht und ich losfahren soll. Eineinhalb Stunden später bin ich ergebnislos wieder in der Stadt. Ein paar letzte Einkäufe, ein leichtes Mittagessen, dann nehme ich ein Taxi Richtung Moerdijk. Nachdem der ahnungslose Taxifahrer mit Funk-Unterstützung aus der Zentrale das Navi programmiert hat, geht es los. 40 Minuten, schätzt er, und ich solle cash bezahlen, denn das Gerät für die Kreditkarten sei kaputt. Ist ja nicht so weit, kann ja nicht so teuer sein! Nach etwa einer Stunde haben wir das Terminal gefunden. 110 Euro stehen auf der Uhr. War ja nicht so weit….
Gleich morgens meldet sich die Schiffsagentur. Einschiffen sollte ich nun zwischen 13 und 15 Uhr, Ablegen würde man erst gegen 20 Uhr. Die Anreisebeschreibung zum Hafen Moerdijk lässt einige Fragen offen. Auch wird unterstellt, dass man zunächst mit dem Zug, dann mit dem Bus und schließlich ½ Stunde zu Fuß unterwegs sein möchte. Es sei aber angeblich „nicht so weit und auch das Taxi nicht so teuer“. Zunächst aber soll ich zum Immigration Office und da ich von Moerdijk auslaufe, muss ich dies am Flughafen tun. Zum Rotterdamer Flughafen ist man schnell gefahren, die Dame am Informationsschalter hingegen kann mit meiner Frage nach dem Immigration Office wenig anfangen. Der Zoll schickt mich – nicht ohne Fragezeichen, was ich dort wollen könnte – in ein Nachbargebäude des Terminals, dort immerhin aber zielsicher in die 2. Etage. Der Immigration Officer hat gleich mehrere große Fragezeichen im Gesicht und das von der Reederei vorgesehene Procedere ist ihm völlig fremd. Immerhin versteht er den deutschen Text und verschwindet zum Chef. Der verfügt, dass man als EU-Bürger für eine Norwegenreise gar nichts braucht und ich losfahren soll. Eineinhalb Stunden später bin ich ergebnislos wieder in der Stadt. Ein paar letzte Einkäufe, ein leichtes Mittagessen, dann nehme ich ein Taxi Richtung Moerdijk. Nachdem der ahnungslose Taxifahrer mit Funk-Unterstützung aus der Zentrale das Navi programmiert hat, geht es los. 40 Minuten, schätzt er, und ich solle cash bezahlen, denn das Gerät für die Kreditkarten sei kaputt. Ist ja nicht so weit, kann ja nicht so teuer sein! Nach etwa einer Stunde haben wir das Terminal gefunden. 110 Euro stehen auf der Uhr. War ja nicht so weit….
Ein Crewmitglied schleppt mein Gepäck über die Gangway und hoch aufs D-Deck. Beide Passagierkabinen – III. Offizier (Untertitel „Hotel Seeblick“) und Funker – sind frei, ich kann es mir aussuchen. Funker geht zur Seite, da bleibt der Ausblick auch bei hoher Containerbeladung frei, also werde ich Funker. Die Kabine ist klein und ein wenig in die Jahre gekommen, alles in braun und beige gehalten, manche „Einbauten“ wirken eher behelfsmäßig. Es gibt ein Bett, eine Sitzecke mit Sofa und Tisch, Kühlschrank, Kleiderschrank, TV/Video und ein Bad mit Dusche und WC.
Nachdem ich meine Sachen seefest verstaut habe, gehe ich zum Antrittsbesuch auf die Brücke, die direkt auf dem Deck darüber liegt. Als Passagier logiert man meist auf dem Kapitänsdeck. Der Kapitän ist da, auch wenn man es ihm nicht direkt ansieht, denn er trägt nicht etwa Uniform, sondern T-Shirt. Er stellt sich knapp mit „Captain“ vor und kassiert meinen Pass. Ich frage ihn, ob es etwas zu beachten gibt. Kein Problem, ich könne mich überall bewegen, nur während der Ladevorgänge sollte ich nicht unter den Containern herumlaufen. Auslaufen sei nun gegen 21 Uhr geplant.
Ich laufe über die Decks, hier ein alter Hometrainer, dort ein paar Fische zum Trocknen vor dem Lüftungsschacht. Auf dem A-Deck die Rettungsboote und ein paar Fahrräder. Auf dem Hauptdeck vor den Mannschaftsräumen essen Crewmitglieder Melone. Einige kommen aus Litauen, andere aus der Ukraine. Wir sind 16 an Bord der MS Tina – Passagier eingerechnet. Der Passagier bin ich, die einzige Frau an Bord, allein unter 15 Seemännern.
Abendessen gibt es zwischen 17.30 und 18.30 Uhr, für Passagiere in der Offiziersmesse. Zwischen der und dem Essraum für die Matrosen liegt die Kombüse, also die Küche. Hier zeigt mir der „Cookie“, was er vorbereitet hat. Auch er kommt aus „Litauen“, das sagt er auf Deutsch. So wie auch „Buchweizen“ am Tag darauf, er spricht „Küchen-Deutsch“. Heute liegen Koteletts in der Pfanne, aber es ist auch noch Fisch vom Mittagessen da. Dazu Reis, Gemüse oder Kartoffel, Suppe sei auch noch von Mittag da, sie schmeckt nach Gewürzgurken. Es ist keine große Zusammenkunft, jeder kommt und isst, wann es der Dienst erlaubt. Der Offizier an meinem Tisch kommt aus der Ukraine und ist kurz vor der Abreise, er hat einen neuen Job. An den beiden Tischen sind jeweils drei Plätze eingedeckt, jeder hat seinen festen Platz. Das Wichtigste steht in einer Box auf dem Tisch: Ketchup und Nutella. Am Eingang ist ein kleines Buffet aufgebaut, hier gibt es Früchte, Kekse und eine Kaffeemaschine. Im Kühlschrank darunter die Verpflegung für den kleinen Hunger zwischendurch. Help yourself!
Um 21.15 Uhr werden endlich die Maschinen angelassen, das Schiff vibriert. Als wir eine viertel Stunde später auslaufen, ist es auf der Brücke schon finstere Nacht, doch am Ufer links und rechts bleibt es hell, Häuser und Industrie wechseln sich ab. Draußen erzählt mir der norwegische Kapitän noch ein wenig über die Fahrt: gegen Mitternacht werden wir den Europe Container Terminal im Eemhaven erreichen und weitere Container laden. Rotterdam hat den drittgrößten Seehafen der Welt, da werden wir noch den ganzen nächsten Tag beschäftigt sein. Das offene Meer erreichen wir erst Samstagabend, dann ist der erste norwegische Hafen Egersund, nach Plan Sonntagnacht.
Als ich kurz vor Acht aufwache, liegen wir im Container Terminal (ECT), dem größten Containerumschlagplatz Europas. Es ist erstaunlich ruhig, die Ladegeräusche bekomme ich von meiner Kabine aus kaum mit. Aufstehen und frühstücken, frage ich mich kurz – und schlafe bei dem Gedanken wieder ein. Um 9.30 Uhr ist es fürs Frühstück zu spät, aber bei so wenig Bewegung kann man auch nicht ständig essen. Erst mal duschen und die mitgebrachte Espressomaschine anwerfen. Das Bad ist etwas dunkel und wie sauber es ist, kann man nicht wirklich gut erkennen. Ich bin froh, Flipflops dabei zu haben. Im Hafen, ohne Seegang, duscht es sich angenehm. Dann zischt auch schon der Espresso durch die Maschine. Da ich keinen Föhn dabeihabe, begebe ich mich zum Haare trocknen auf die Brücke. Es werden nun die weißen Container an Bord gehievt, Thermo King ist hier – das sind die knapp drei Meter hohen Kühlcontainer. Der Aufbau vorne wird noch mal höher und ich bin froh, die Funker-Kabine mit dem Ausblick zur Seite gewählt zu haben, der frei bleiben wird.
Mittags gerät der Ladevorgang ins Stocken, es gibt ein Computerproblem. Die Container werden in ihren Wagen vollautomatisch unter den Kran geschoben, aber die Schlange steht. Es ist ein herrlicher Tag und auf dem C-Deck stehen einsam zwei Liegestühle. Auflagen sind im Schrank unter meinem Bett. Der Platz ist nur mittelmäßig lauschig, denn im Hafen herrscht ein Höllenlärm. Überall Sirenen und Hupen, Kräne quietschen und Container rumsen. Ein Ausflugsboot kommt vorbei, offenbar die Hafenrundfahrt, ein paar Touristen schauen ungläubig zu der Frau, die inmitten all dieses Getöses auf dem Liegestuhl liegt und liest.
Abends gibt es Fleisch oder Fleisch. Es ist 18 Uhr und die Crew rollt die Augen. Wir haben jetzt schon 4 Stunden Verspätung und noch längst nicht alles geladen. „Very slow place“ sagt der Kapitän später auf der Brücke, hier gäbe es immer Verzögerungen. Noch 20 Container müssen an Bord, also könnte man in etwa zwei Stunden auslaufen. Die Fahrt nach Egersund soll 30 Stunden dauern, nun habe ich wieder eine Chance, den Hafen bei Tageslicht zu erreichen!
20.20 Uhr und die Maschinen laufen. Schnell etwas Warmes überziehen und hoch auf die Brücke. Dort zeigt das Thermometer 15 Grad und es weht ein frischer Wind. Der Kapitän wendet das Schiff, dann übernimmt der holländische Lotse das Steuer. Die beiden bewundern in der Ferne einen Riesenfrachter, der 18.000 Container laden kann. Allerdings passt der Koloss nicht in jeden Hafen, die Kräne sind nicht groß genug. Nach einer knappen Stunde springt der Lotse von Bord, ziemlich halsbrecherisch, denn die See ist für den Laien doch schon rau. Nun geht es hinaus aufs Meer in finsterer Nacht. Vorne wiegen die Container auf und ab und das Schiff pflügt unbeirrt durch die Wellen. Ein zweites Mal heute bin ich froh um den Ausblick zu Seite: das wirkt stabiler.
Es gibt einen Grund, den Tisch im Boden zu verschrauben! Der Seegang ist heute kein Spaß. Die Jungs hatten Schlechtwetter vorhergesagt und mir den Rat gegeben, den Laptop nicht auf dem Tisch liegen zu lassen. Wir sind noch keine 12 Stunden unterwegs und haben noch längst nicht die Hälfte der Strecke an die norwegische Küste geschafft. Wie soll ich diesen Tag überstehen? Vorsichtig laufe ich die vier Stockwerke über die steile Treppe zum Hauptdeck. Der Koch fragt, ob es mir gut geht. Na ja! Etwas Tee und zurück in die Kabine. Später versuche ich zu duschen. Ja, es gibt auch einen Grund für die Haltegriffe im Bad! Mittags schleppe ich mich wieder in den Essraum. Hunger wäre nicht das Motiv, aber ich muss ja etwas tun. „Cookie“ hält mir fragend eine Dose Bier hin und als ich dankend ablehne, fragt er, ob ich lieber Whisky möchte. Auch das erscheint mir nicht ideal, ich lege mich lieber wieder hin. Alles schaukelt. Beim Ausblick aus dem Fenster geht der Magen mit dem Schiff auf und ab. Auch neben der Toilette gibt es einen Haltegriff. Den möchte man nicht nutzen müssen… Man nennt es auch „Krabbenfüttern“. Frachtschiffe haben keine Stabilisatoren, die Wellen müssen nicht mannshoch sein, man spürt jede von ihnen. Auf den Gang zur Brücke verzichte ich, der Anblick der schwankenden Container würde mir den Rest geben. Ich zähle die Stunden und fixiere die Decke. Gegen Abend denke ich doch noch über den Whisky nach. Der Koch hat Geschnetzeltes mit Chili vorbereitet – eigentlich lecker. Ich stochere im Kartoffelbrei und fixiere die Decke, zum Glück bin ich allein. Nach dem Essen schleppe ich mich aufs Bett und schlafe trotz aller Schaukelei kurz ein. Danach denke ich, es ist alles gut. Doch schon die zwei Schritte zum Sofa sind eine Herausforderung. Als es dunkel ist, sieht man wenigstens nicht mehr, wie sich das Schiff auf und ab bewegt.
Norwegen begrüßt uns grau-in-grau. In meinem Handy stapeln sich die Nachrichten, es gibt Netz und nicht nur das, es gibt auch Wifi! Wir sind kurz vor dem Einlaufen in Egersund, das Meer ist ruhig. Ich werfe die Espressomaschine an und nutze das ruhige Fahrwasser zum Duschen. Es nieselt leicht und auf der Brücke zeigt das Thermometer 14 Grad. Die Landschaft sieht schön aus – skandinavisch: Ein paar rote Häuser thronen auf den Felsen, es ist grün, aber leider auch grau. In Egersund werden einige der Kühlcontainer entladen, nach weniger als zwei Stunden sind wir wieder weg – zu kurz, um an Land zu gehen. Der Kapitän warnt mich, dass es wieder rau wird, da wir noch mal raus aufs offene Meer müssen. Ich hole Tee und lege mich sicherheitshalber hin.
Heute ist Hafentag! Nur dreieinhalb Stunden später erreichen wir Risavika, den neuen Hafen von Stavanger. Wir sind auf 58°55′30″N. Es regnet in Strömen, aber die Jungs klettern unbeirrt auf den Containern herum. Es wird abgeladen und verschoben, damit das Gewicht wieder passt. Das Schiff neigt sich mal zur einen, mal zur anderen Seite. Wir müssen verlorene Zeit aufholen, in jedem Hafen geht es eine halbe Stunde schneller als im Plan. Um 18.30 Uhr vibrieren die Maschinen wieder und wir nehmen Kurs auf Håvik. Jetzt ist alles gut: das Meer ist ruhig, die Fahrt dauert etwa zweieinhalb Stunden. Zum Einlaufen gehe ich trotz Regen auf die Brücke. Links und rechts Felsen, bei Tageslicht ist es vermutlich dunkelgrün und wunderschön. Wir sind jetzt mitten im Fjordland. Der Kapitän steuert immer noch. Er kommt aus Kristiansund, hat die norwegische Lizenz und das spart in jedem Hafen den Lotsen und damit auch Zeit. Im Nieselregen lenkt er den Frachter sicher durch die schmale Fahrrinne an den Hafenplatz. Immer eine selbst gedrehte Zigarette zwischen den Lippen, die er auch nicht entfernt, wenn er über Funk mit Chief Sergiy berät, wie weit er noch ran muss an den Kai oder das nächste Schiff. Nach weniger als zwei Stunden sind wir fertig und die Maschinen laufen wieder. Es geht nur noch einmal um die Kurve: der Hafen von Husøy ist nur 3 Meilen entfernt. Das Manöver auf dem Inselchen soll vier Stunden dauern, ideale Zeit für etwas Schlaf, denn danach geht es weiter nach Bergen. Sailing Time: 4:30 Uhr.
Ich habe den Wecker gestellt, denn in Bergen sollen wir 11 Stunden im Hafen liegen und davon will ich keine Minute verpassen! Als ich auf der Brücke erscheine, bin ich beruhigt: der Kapitän gönnt sich eine Ruhepause. Der Himmel ist grau, von Bergen ist noch nichts zu sehen. Die Landschaft ist grün, kein Wunder bei dem vielen Regen! Durchschnittlich 20 Regentage im September gibt die Klimatabelle her, dazu 2,9 Sonnenstunden pro Tag. Wenn die mal nicht alle auf einmal kommen… Um 10 Uhr laufen wir im Hafen ein, es wird ein enges Manöver, denn hinter uns liegt ein großes Kreuzfahrtschiff. „Der Frachter sollte ein Gelenk haben wie ein Bus“, scherzt Kapitän Knutsen.
Die „Crown Princess“ entlädt mittlerweile ihre 3.000 Passagiere auf die wartenden Ausflugsbusse. Ein Vertreter der Hafenbehörde kommt an Bord, Papierkram wird erledigt. Mein Pass, Crew List, Passenger List (die ist übersichtlich), alles schön gestempelt. Dann die Sicherheitsjacke anziehen und zum Gate laufen. Der junge Mann von der Hafenbehörde zeigt mir den sichersten Weg, so ein Containerhafen ist schließlich keine Flaniermeile. Es regnet und natürlich habe ich keinen Schirm dabei – willkommen in Europas regenreichster Stadt!
Ins Stadtzentrum ist es erstaunlich nah, der Regen lässt schnell nach und als ich am Vågen ankomme, erscheinen zaghaft die ersten Sonnenstrahlen. Immerhin drei Stunden hatte der Wetterbericht vorhergesagt und im Laufe des Tages sind sie auch häppchenweise vorhanden. Hier am „Tor zu den Fjorden“ würde ich eigentlich gerne eine kurze Fjordfahrt machen, so ganz touristisch und bilderbuchschön. Ohne vibrierende Maschinen, dafür mit großen Panoramafenstern. Leider ist Norwegen Anfang September bereits im Winter-Modus, die Touristenboote starten nur noch frühmorgens, die Nachmittagsfahrt fällt aus.
Ich schlendere Richtung Fischmarkt und erkunde zunächst die Fisketorget-Halle. Hier ist alles etwas schicker und edler als draußen auf der Straße, wo zwischen dampfenden Muscheltöpfen auch Rentierfelle, Strickmützen und winterwarme Socken feilgeboten werden. Zum Einstieg gönne ich mir norwegische Austern, frische Shrimps und den Inhalt eines Seeigels, der zu vier hübschen Klecksen auf dem Teller dekoriert wird. Dazu ein kühles Glas Weißwein und von meinem Platz unter dem großen Sonnenschirm kann ich beobachten, wie die Kreuzfahrtpassagiere in die Stadt strömen. Ich kaufe noch etwas geräucherten Wal zum Mitnehmen und muss feststellen, dass meine Idee von einem Tagesbudget nahezu ausgegeben ist. Willkommen in Norwegen!
Doch was soll’s, die Sonne ist da, der Moment scheint günstig und ich laufe zur Talstation der Floibanen. Gut 300 Meter über der Stadt verspricht der Fløyen herrliche Ausblicke über die von sieben Hügeln umgebene Stadt. Oben angekommen macht die Sonne leider Mittagspause. Also mit der Standseilbahn wieder talwärts und auf zum Bryggen, dessen spitzgiebelige Holzhäuser zum UNESCO-Weltkulturerbe zählen. Hier kann man nach Herzenslust flanieren, Shops mit skandinavischem Design durchstöbern, Strickmützen mit Fellbesatz in allen Farben des Regenbogens anprobieren und zwischendurch einfach von einem der Straßencafés die Schönheit der Hansekontore bewundern. Die Häuser sind originalgetreu rekonstruiert, denn wie (fast) immer in Norwegen sind die Originale einem oder mehreren Bränden zum Opfer gefallen – und das, obwohl die Häuser lange unbeheizt waren.
Es lohnt sich, noch ein Stück weiter zu laufen, denn in der Bucht Skuteviken sind kaum noch Touristen und viele alte Holzhäuser unversehrt. Über den Sverresborg geht es zur Schøtstuene und durch alte Kaufmannshöfe zurück in die Hafenstraße. Als ich kurz nach 18 Uhr die Einkaufsstraße Strandgaten erreiche, sind die meisten Geschäfte schon geschlossen. Aber da Einkaufen in Norwegen hauptsächlich teuer ist, finde ich das gar nicht schlimm und bummle zum Café Opera. Hier ist alles ganz entspannt, an der Bar wird geordert und draußen glimmen die Heizstrahler. Zur Sicherheit rufe ich auf meinem Schiff an und der Kapitän verlängert meinen „Ausgang“ – es kann noch dauern mit dem Auslaufen, wie vereinbaren 20 Uhr. Die Muscheln von der Tageskarte schmecken äußerst lecker, um mich herum Einheimische bei einem gemütlichen Feierabendbier. Beschwingt von den Eindrücken des Tages laufe ich zurück zum Schiff. Dort merke ich erst, wie müde mich das Herumlaufen gemacht hat. Heiße Dusche, Glas Wein und ab in die Koje! Um 22 Uhr ist endlich alles schön gestapelt und wir laufen aus.
Kurz vor sieben sind wir in Måløy, 62ºN und fast schon am westlichsten Punkt des Landes. Der Kapitän meint, der Ort sei nicht besonders sehenswert (man lebt vom Fischfang) und eine Wanderung über die 1.000 Meter lange Brücke über den Ulvesund ist so früh am Morgen auch nicht ganz oben auf meinem Wunschzettel. Im Hafen brauchen wir weniger als drei Stunden und dann liegt FjordKysten, die Fjordküste vor uns! Noch zögert die Sonne, aber dann bläst der Wind die Wolken zur Seite und es präsentiert sich eine der schönsten Fjordlandschaften überhaupt. Es ist ein ursprüngliches Norwegen, fast unberührt. Die Container schaukeln gut gelaunt durch die blauen Wellen, rechts türmen sich gut 400 Meter Fels, dessen Spitze angeblich gesichert ist.
Man soll aber leise vorbeifahren, meint der Kapitän mit einem verschmitzten Lächeln. Sicherheitshalber tun wir das, der herabstürzende Felsbrocken würde vermutlich einen Tsunami auslösen.
Mittags manövriert Kapitän Knutsen „Tina“ passgenau in den leicht bananenförmig geschwungenen Hafen von Svelgen am Nordgulen Fjord. Auf der Brücke bekomme ich Instruktionen für den Landgang: Sicherheitshelm aufsetzen, Sicherheitsweste anlegen und zur Sicherheit auch die Sonnenbrille. Die Arbeiter im Hafen tragen eine Schutzbrille. Himmel, ist das gefährlich hier! Ich bekomme einen Hafenausweis und melde mich am Gate. Das Interesse am Passagier ist verhalten, aber der Ausweis macht wichtig. Ich kann Helm und Weste in einen Arbeiter-Schrank legen und bin frei. Für die Besichtigung des Ortes hatte der Kapitän fünf Minuten veranschlagt. Das dürfte der intensive Rundgang sein… Drei Mal pro Woche verkehrt ein Linienbus nach Kalvåg und Hauge/Bremanger, aber ich bin am falschen Wochentag da. Ein Schild verweist auf die Touristinformation im Rathaus. Die Dame dort spricht nur holprig Englisch und bedeutet mir, dass es nichts weiter zu tun gäbe. Das Svelgen Hotel ist das erste und einzige Haus am Platz, die Terrasse hat Hafenblick. Es gibt Hansa-Bier aus Bergen und eine norwegisch verschlüsselte „Lunsj-Karte“. Ich wähle Hamburger und bleibe den ganzen Nachmittag. Das Wifi funktioniert einwandfrei und ich setze meine Ausschiffung in Stavanger in die Tat um. Noch einmal 35 Stunden Skagerrak nach Rotterdam muss nicht sein. Außerdem haben wir wegen der zusätzlich angelaufenen Häfen Verspätung. Zurück auf dem Schiff genieße ich die letzten Sonnenstrahlen des Tages an Deck und anschließend eine wunderbare Fahrt in die Abendsonne Richtung Florø. Gegen 22 Uhr erreichen wir die westlichste Stadt Norwegens, etwa zwei Stunden lärmen die Kräne vor meinem Fenster, dann beginnt die Nachtfahrt nach Risavika.
Ein Seetag, und zwar mein letzter. Gut 15 Stunden sind veranschlagt und obwohl wir den letzten Hafen vor dem Plan verlassen haben, werde ich den Lufthansa-Flug nach Frankfurt gerade so verpassen. Auf einer Frachtschiffreise kann man die Zeit nicht exakt planen. Man braucht Geduld und jede Menge Lesestoff. Es ist ein ruhiges Reisen, wenn auch rundherum alles lärmt. Das Tempo stimmt, aber wer nicht gerne mit sich allein ist, sollte gar nicht erst an Bord gehen. Unterhaltung ist nicht das Konzept. Es ist pure Fortbewegung, bei jedem Wetter und zu jeder Tageszeit. Häfen werden angelaufen, wenn man eben da ist. Mit etwas Glück zu einer Uhrzeit, die man auch als Passagier nutzen kann. Vorausgesetzt, die Liegezeit im Hafen ist lange genug für einen Landgang und der Hafen ist nicht im Niemandsland gelegen. Nicht immer gibt es da Transportmittel in die nächste Stadt, denn auch das ist nicht Teil des Konzeptes.
Ich nehme gerne den Vorschlag des Kapitäns an, mit ihm von Bord zu gehen und seinen Transfer zum Flughafen zu nutzen. Er war seit Februar auf der „Tina, hat Heimurlaub und heuert anschließend auf einem anderen Schiff an. Er wird dann die 14-tägige Route fahren, ich könnte ja mal wiederkommen, denn weiter nördlich wird es noch schöner!
Als wir gegen 17.40 Uhr den Minibus zum Flughafen besteigen und die 6 km zum Airport Stavanger düsen, sehe ich die Lufthansa-Maschine im Landeanflug. Mist, das hätte ich doch geschafft! Aber wer will das wissen…
Ich trödle also zwei Stunden am Flughafen Stavanger herum, Warten kennt man ja. Dann ein kurzer Flug nach Kopenhagen und von dort am nächsten Morgen weiter.
In Kopenhagen begrüßt mich das Handy mit „Willkommen in Dänemark“ – ach ja, und wieder eine neue Währung, das kennt man so gar nicht mehr in Europa. Das Hilton am Flughafen ist praktisch im Terminal und heißt mittlerweile Clarion. Das Zimmer ist riesig und das Bad hat nahezu die Ausmaße meiner Kammer auf der „Tina“. Ein Traum ist aber das große Bett mit einer federleichten Decke, nichts schaukelt, nichts brummt und es gibt deutsches Fernsehen.
Auf zur letzten Etappe! Die Sonne scheint, ich habe eingecheckt und das Gepäck ist aufgegeben. Kleines Frühstück, dann ein kurzer Flug nach Düsseldorf. Dort soll es den letzten Sommertag des Jahres geben und ich habe das warme Daunenzeug in den „Seesack“ gepackt.
Beim ersten Espresso auf dem heimischen Balkon kommt die unvermeidliche Frage „Und – war es gut?“ Ja, wenn man weiß, was man erwarten darf. Keine Kreuzfahrt, keinen Luxus, keine Unterhaltung. Das Reisetempo ist beschaulich, die „Tina“ fuhr mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 12 Knoten (ca. 22 km/h). Die Strecke ab und bis Rotterdam war 1348 Seemeilen lang, das sind knapp 2500 km. Es werden Häfen angelaufen, die mal mehr, mal weniger interessant sind und das auch zu Zeiten, die kein Mensch braucht. Ich hatte Glück in Bergen, denn auch das ist nicht immer der Tagesstopp.
Zu essen gibt es das, was arbeitende Männer so brauchen. Nicht schlecht, aber deftig. Als Frau allein unter Seemännern zu reisen ist an sich kein Problem, man kleidet sich dann auch gerne etwas rustikaler. Die Jungs waren immer freundlich, wenn auch nicht besonders gesprächig. Na gut, sie arbeiten und sind nicht zur Passagierbespaßung an Bord. Die tägliche Dienstzeit auf dieser Fahrt war mit 12 Stunden festgelegt (Änderungen aus operativen Gründen vorbehalten), wobei nach vier Stunden Ruhepause vorgesehen war. Auf der Brücke ist man gerne willkommen, wenn man sich etwas im Hintergrund hält. Und: wo hat man schon Gelegenheit, in der Kommandozentrale mit dem Kapitän Kaffee zu trinken und alles live zu erleben?
Die Frachtschiffreise an die norwegische Fjordküste war bereits meine zweite Fahrt auf einem Containerschiff. Auch damals war ich der einzige Passagier und die einzige Frau an Bord. Meine erste Frachtschiffreise war länger und führte durch unterschiedliche Zeitzonen. Die Umstellung der Uhren um jeweils ein Stündchen wurde am schwarzen Brett angekündigt. Dieses Reisetempo ohne Jetlag und mit langsam wechselnden Klimazonen fand ich sehr angenehm. Das Schiff war deutlich größer und etwas komfortabler.